Digitale Ausstellung - Linus Zieger

Grenzbrechungen bei, von und für Frauen


Nicht nur bei Frauen wurden Grenzen gebrochen, wie im letzten Kapitel umfangreich aufgeführt. Nein, auch Frauen haben Grenzen gebrochen und auch für Frauen wurden Grenzen gebrochen. Dabei war das oft mit viel Mut und Widerstand verbunden, wie beispielsweise die Beziehungen zu französischen Soldaten. Häufig musste man sich immer wieder ganz gezielt Vorschriften widersetzen. Dabei wurden bei Frauen ganz persönliche individuelle Grenzen gebrochen. Es gab unzählige Vorschriften und sogenannte Bekanntgaben, welche das Leben unter der Besatzungszone regeln sollten: von Ausgangsverboten über geordnete Abgaben gewisser Güter bis hin zu Plünderungsverboten, welche mit dem Tod bestraft wurden. Alles mögliche war dabei. Verordnung Nr. 2 aus Reutlingen, den 22. April 1945
Das waren Regeln und Gesetze, welche von Frauen immer wieder gebrochen wurden. Beispielsweise wurde das Plünderungsverbot, was sogar unter Höchststrafe stand, von vielen Frauen missachtet. Sie waren in ihrer Lage so verzweifelt, da sie etwas zu Essen für sich, ihre Kinder und ihre Familien brauchten. Dabei wurde also übermäßiger Mut mit Verzweiflung gemischt, was Frauen dazu bewegte, solch große Grenzbrüche zu begehen.

Eine weitere Grenze bzw. Regel welche gebrochen wurde, hatte oft ähnliche Hintergründe. Es war Frauen verboten, Beziehung, egal ob freundschaftlicher oder liebender Natur zu Franzosen, zu unterhalten. Dennoch wurde das von vielen Frauen gemacht, wobei die Motive oft, aber nicht immer, eine bessere "wirtschaftlich"-vorteilhafte Lage war.
Oft suchten daher trotz dieses Verbotes Frauen den Kontakt zu den französischen Soldaten durch geheime Prostitution. Das war für vielen Frauen zu dieser Zeit eine Überlebensstrategie, wenn diese auch verboten war und bestraft wurde. Aber auch hier spielte der Erlebniswille eine wichtige Rolle und der Wunsch nach einem unbeschwertem, nach einen besseren Leben.
Dabei zogen Frauen häufig in die Nähe von Kasernen oder zu öffentlichen Orten, wie zum Beispiel dem Volkspark hier bei unserer Schule, oder auch zum Kino, um so den Kontakt mit Soldaten zu suchen.

Das war allerdings verboten. Wie gingen die Militärregierung und die Reutlinger Behörden damit um?
Einerseits wurde dieses Verhalten mit starken Strafen wie Haft bestraft. Man wolle "mir aller Härte vorgehen", wie der damalige Oberbürgermeister Oskar Kalbfell sagte. Generell wurde so ein ungesetzliches Verhalten von vielen, auch Einheimischen, stark verurteilt. Täter wurden dabei oft in das "Beschäftigungs- und Bewahrungsheim" in Buttenhausen gebracht.
Eine Vorgehensweise der Reutlinger Behörden um Gewalt an Frauen zu unterbinden, waren die Militärbordelle, wovon zwei in Reutlingen eingerichtet wurden. Das Ziel dieser Einrichtungen war es in erster Linie, weitere Vergewaltigung durch die französischen Besatzungsmacht vorzubeugen. Aber auch die ungewollten Kontakte zwischen Reutlinger Frauen und französischen Soldaten wollte man, zusammen mit Polizeigewalt, unterbinden. Mit mäßigem Erfolg, da die Frauen in den Bordellen dort nicht freiwillig waren. Oft kamen die dort arbeitenden Frauen gerade aus dem Haus, wo sie wegen ihre Konaktes mit den Soldaten hingebracht wurden.

Bei der bisherigen Beschreibung wurden Grenzen bei Frauen und von Frauen gebrochen. Wurden aber auch offiziell Grenzen für sie gebrochen bzw. verschoben?
Ja, wurden sie! So bekamen unter anderem schwangere Frauen unter der Besatzungsmacht mehr Rechte zugesprochen. Oft bekamen sie mehr zu Essen oder auch für ihre kleinen Kinder Güter wie Milch, welche sonst eher selten waren und als Luxus galten. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Das ganze Thema ist also ein komplexes Konstrukt, bei dem man nicht immer nur eine Seite betrachten kann, sondern sich immer beide Seiten der Medaille anschauen muss.

Aber wie war es in anderen Besatzungszonen?
Auch aus anderen Besatzungszonen wird in den letzten Monaten während und nach dem Krieg von grausamen Vorgängen berichtet. Aber nicht nur, es kam auch immer wieder zu WTaten großer Menschlichkeit, wie diese teilweise genannt werden. Auch in anderen Besatzungszonen, kam es anfangs zu Plünderungen und Vergewaltigungen, da nach Kriegsende noch keine wirkliche Ordnung entstanden war. Es liegen allerderings Zahlen vor, dass solche Gewaltvergehen besonders in der ersten Zeit, also der Besatzungszeit von Franzosen verübt wurden. Wobei einige Quellen sagen, dass gerade Kolonialtruppen und eingegliederte Résistancegruppen zu Gewalt beitrugen. Zudem hatten die Franzosen ein "böses", negatives Bild von den Deutschen. Sie waren selbst fast vier Jahre unter deutscher Besatzung gewesen und hatten die Brutalität eines Kriegs in der eigenen Heimat miterlebt. Daher kam es oft zu diesen "rachsüchtigen" Vergehen.

Es lässt sich also gewiss sagen, dass es unter der französischen Besatzung deutlich schwerer war als beispielsweise unter amerikanischer, auch was die Versorgungslage anging. Daher ist es kein Wunder, dass es zwischen Deutschen und französischen Soldaten zu deutlich größere Distanzierung und geringere Fraternisierung kam, als in anderen Besatzungszonen.